Hoher Atlas Skitour

DIE PILOTREISE NACH MAROKKO – THOMAS ROTTENBERGS REISEBERICHT

YellowTRAVEL:

Von einer unvergesslichen, eindrucksvollen Reise sind 2014 Guide Klaus Zwirner und die sieben Teilnehmer der YellowTravel-Pilotreise aus Marokko zurückgekehrt. Neben ein paar Souvenirs haben sie vor allem faszinierende Eindrücke und großartige Erlebnisse mitgenommen: Zischender marokkanischer Firn, die Besteigung von drei 4.000Endern, das einfache Leben auf der Hütte, der Geschmack von Kreuzkümmel und Pfefferminztee, die engen Strassen und Gassen in den Souks von Marrakesch. All dies und noch viel mehr hat Thomas Rottenberg – ein YellowTravel-Stammgast – in den Zeilen seines Reiseberichts festgehalten:

 

Wer nach Marokko Bergsteigen oder Skibergsteigen fährt, der will in der Regel auf den Jebel Toubkal. Dieses Abenteuer buchen hunderte Touristen am Tag. Darum führt auf den höchsten Berg Nordafrikas auch eine richtige Ameisenstraße.

Die Berber haben es nicht ganz verstanden. Wobei: Das ist die höfliche Formulierung. „Mais aujourd´hui: Toubkal!? - Aber heute: Toubkal?!“ fragte Djamal, unser Guide, jeden Morgen hoffnungsfroh. Und Mohamed, der Koch, schrieb am dritten Tag sogar mit Zimt „Toubkal“ auf den kunstvoll zu einem Gipfel geformten Berg Reis, den er uns servierte - und schüttelte dann nur verständnislos den Kopf. Wieso dieses kleine Rudel an Verrückten aus Österreich par Tourt NICHT auf den Jebel Toubkal hinauf wollte, konnten auch die anderen Berber nicht verstehen: Die Hüttencrew im Toubkal-Haus ebenso wenig, wie die Träger, die das Gepäck aller Touristen von der Schneegrenze an - wo die Mulis nicht weiter gehen - bis zur Hütte geschleppt hatten. Die anderen Guides und Köche verstanden es auch nicht. Und die rund 140 anderen Bergsteiger und Skitourengeher, die sich da in der engen Hütte am Weg zum höchsten Berg Nordafrikas drängten, sowieso nicht: Der Jebel Toubkal ist mit seinen 4167 Metern schließlich der höchste Gipfel im Hohen Atlas.
 


Das Gepäck bringen Mulis und Träger auf die Hütte. © YellowSPORTS.at

Und wer sich da auf den beschwerlichen Weg von Marrakesch mit dem Bus nach Imlil (1740 m) und von dort über den Trekkingpfad zur auch als „Neltner Hütte“ bekannten Toubkal Hütte (3207m) hinauf geplagt hat, der hat in der Regel genau das bei Abenteuer- und Outdoortouranbietern aus der ganzen Welt gebucht. Oder gesucht: Den Gipfelsieg 4167 Meter über dem Meer. Mit einem dramatischen Blick über die Viertausender ringsum - bis tief hinein in die Sahara: Wie krank muss man also sein, um nach Marokko zu fliegen, Ski und Gepäck Großteils selbst auf über 3000 Meter hinauf zu schleppen - und dann NICHT hinauf zu gehen?

Ganz ehrlich: Gar nicht. Ganz im Gegenteil. Schließlich war zum Einen der Blick auf die Ameisenstraße, auf der die lokalen Guides Tag für Tag Halbschuhtouristen, die ungelogen Steigeisen mitunter mit Gaffertape an ihre Turnschuhe gepickt hatten, auf den Gipfel eskortierten, zogen und schoben, mehr Realsatire als Ansporn. Zum Anderen ist es mit imposanten Bergen so, und der Jebel Toubkal ist ohne jeden Zweifel imposant, dass sie auch sehr imposant aussehen, wenn man vom Nachbargipfel aus hinüber schaut. Und auch wenn der dann vielleicht 20 oder 50 Meter niedriger ist, bietet genau dieses Manko einen exzellenten Vorteil: Man hat seine Ruhe. Beim Aufstieg. Am Gipfel. Und bei der Abfahrt: Als wären die "ruhigen" Viertausender bei strahlendem Sonnenschein nicht schon Grund genug, diesem einen, ausgelassenen, Gipfel nicht nachzuweinen, tröstet der Blick hinüber auf die Ameisenstraße gleich noch einmal: Wo täglich hunderte Menschen über Schneefelder wandern, ist Skifahren oft ein bisserl mühsam, aber dort wo keiner hingeht, weil alle auf der Ameisenstraße bleiben ... Bingo!

Und so zogen wir Morgen für Morgen die Felle auf unsere Skier, glitten an den mühsam durch die Talkessel zur Ameisenstraße stapfenden Toubkal-Buchern vorbei bis dorthin, wo es nur noch einen Weg, eben die Ameisenstraße gab, und bogen ab. Mit den Fellen ging es weiter, in die Kessel zu den Flanken die mitunter auch zu steilen Hängen wurden. Und wenn sie zu steil und eisig für die Harscheisen waren, schnallten wir die Skier auf die Rücksäcke, zogen die Steigeisen an, packten mitunter auch die Pickel aus - und stapften, stiegen und kletterten. Als kleine Gruppe. Als bunter Fleck. Als Nichts im Hohen Atlas, bis wir oben waren. Allein. Oder so gut wie allein: Mehr als vier oder fünf andere Bergsteiger und -innen trafen wir nie am Weg zu einem unserer vier Viertausender (Afella, Akiud, Clochtones, Ras) - und jeder war schön. Unfassbar schön: Mit Blick über den Hohen Atlas - bis tief in die Sahara, und natürlich auf den Jebel Toubkal.
 


Auf dem Weg zu einsamen 4000ender im Hohen Atlas. © YellowSPORTS.at

Sitzen und schauen - schauen und sitzen - und warten, bis die Zeit reif ist: Die Sonne, die jeden Tag hoch über das Atlas Gebirge stieg, verwandelte das bockharte Eis der Flanken und Hänge in Firn. Knisternd-zischenden Afrika-Firn. Kein stiebender Pulver, sondern weicher, sanft und weich formbarer, gerade noch nicht wässriger Zauberschnee, der beim Drüberfahren leise flüsternd vom roten Saharasand erzählte, den der Wind aus der Wüste hierher getragen hat. Samtschnee der Skiern und Boards manchmal fast glaubhaft vorspielt, die Fahrt ins Tal sei ein Ritt auf einer Welle. Irgendwo am Strand.

Natürlich ist das nicht so - obwohl man in Marokko auch surfen kann. Nicht hier, aber anderswo. Davon erzählen dann später die anderen. Abends, in der Hütte. Während sie ihre Turnschuhe trocknen, mit denen sie die Ameisenstraße hinauf- und dann wieder hinunter gestapft sind. Auch spannend. Auch intensiv. Auch ein Erlebnis. Gar keine Frage. Aber wie es sich anfühlt, wenn man in zischendem, pfauchendem Afrikafirn seine Schwünge zieht und dabei bis tief in die Sahara schaut, das bleibt für die von der Ameisenstraße ein Geheimnis.
 


Chillen auf der Toubkal Hütte. © YellowSPORTS.at

Und weil doch alle hierher gekommen sind, um über die Ameisenstraße zu stapfen, stellen sie dann ihre Frage: „Mais demain: Toubkal!? - Aber morgen dann: Toubkal?!“ Wir nicken. Und sagen „Peut etre. Vielleicht.“ Aber dabei sehen wir einander an - und jeder weiß, was das Lächeln in den Augen der Anderen bedeutet.

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Autor

Thomas Rottenberg

Thomas Rottenberg beschreibt sich als Buchautor, Moderator, Kolumnist & Journalist, Lauf- und Outdoorblogger, Reisender, Geschichtenerzähler.Daheim in Wien, zuhause überall. Schreibt u.a. für Standard und Falter und arbeitet als Moderator bei diversen Events

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