Touren bei den Trollen

REPORTAGE ÜBER DIE FASZINIERENDE PILOTREISE NACH ISLAND

YellowTRAVEL:

2013 reiste eine Gruppe ausgewählter Teilnehmer nach Island, um zum ersten Mal die Landschaft mit ihren Tourenskiern zu erobern. Ein faszinierendes Abenteuer, denn hier findet man keine Höhenmeter-Touren wie in den Alpen sondern Touren, Hänge und Powder abseits von allen Anderen. Welche Eindrücke und Skitouren-Erlebnisse auf der Insel aus Feuer & Eis einen erwartet, erfährt man in der Reportage von Thomas Rottenberg.

Wer höhenmetersüchtig ist, der wird in Island nicht glücklich werden. Wer Touren, Hänge und Powder abseits von allen Anderen sucht, aber schon. Sehr sogar.

Die Sache mit dem Gammelhai war ein bisserl fies. Aber so ist das nun mal. Wer das Hirn auf Standby stellt, hat es nicht besser verdient. Und dass die Bröckerln noch erbärmlicher rochen, als sie aussahen, war ja offensichtlich. Genauer: Offenriechbar. Und das Grinsen unseres Guides hätte uns warnen können. Müssen. Außerdem hatte er uns ja ohnehin gewarnt: „Das ist der berühmte isländische Hai“ hatte der Guide und Bergführer erklärt, als er den Teller mit einem Gesicht, als brächte er uns eine Kiste Gold, im Wohnzimmer abgestellt hatte. Der beißende Geruch sei normal. Außerdem übertünche der Nitratgestank Unangenehmeres: „Nature did half of the digestion for you.“ Denn Gammelhai ist das, was der Name sagt: Vergammelter Fisch. Ein paar Monate vergammelt. „Eine isländische Spzialität“, sagte unser Gastgeber. Das steht auch so in jedem Island-Reiseführer.
 


Später:
nachdem wir den im Grunde unaufregend schmeckenden Fisch verkostet hatten, nachdem uns unser Gastgeber schwor, dass es sich hier um eine Hai-Art handle, die heimisch sei und weiter von jeder Artenschutzliste entfernt ist, als Island von den Tropen, saßen wir beim Abendessen. Und plötzlich fiel uns ein: Der Stinkefisch-Teller stand ja noch im Wohnzimmer. Zu spät: Ganz bekamen wir das Pissoir-Odeur während der kommenden Tage nicht mehr aus dem Raum.
 



Egal:
Wir waren eh kaum da. „Da“, das waren Häsuer aus dem Nordskandinavien-Bilderbuch. Es lag im Nordwesten Islands. Auf der so genannten Troll-Halbinsel. „Töllaskagi“ heißt das auf isländisch. Direkt am Fjord. Mit einem dramatischen Blick auf das - je nach Lichteinfall und Wolkendecke - bleigraue bis blitzblaue Meer vor den Fenstern. Und die Hänge der gegenüberliegenden Fjordseite, drüben, ein paar Kilometer weiter weg: Baumloses Weiß, dass unmittelbar aus dem Meer zu kommen schien, sich mit meist mittlerer Steilheit auf Höhen von 1200 bis 1300 Metern hinaufzog - und dort wie mit dem Lineal abgeschnittene Kämme bildete. Fjord-Hänge eben - die theoretisch mehrere Kilometer weite Schwünge erlauben würden: Wer hier, in Island, nicht den Platz für seine ganz privaten, eigenen Lines findet, der findet ihn nirgendwo.

Zugegeben:
Island ist keine Next-Door-Destination. Und wer zum Angeben unbedingt gigantische Höhenmeter- oder Sauerstoffmangel-Wuchteln braucht, sollte anderswohin fahren. Aber all jene, die den Trip „Off the beaten tracks“ suchen, kann man Island in der Version der YellowTRAVEL-Jungs nur allerwärmstens ans Herz legen.


Denn ganz allgemein:
Dass Reykjavik eine absolut irre Partystadt ist, ist ja längst kein Geheimnis mehr. Und das Gerede über Björk und andere Elfen, heiße Quellen, Geysire und Wikinger, das erste Opfer und "Stehaufmanderl" der Wirtschaftskrise, lassen wir jetzt mal aus - um Platz für das Besondere aufzusparen: Für Powder, Ponys und Pool. Zum Beispiel.

Alleine:
Vielleicht das Großartigste am Tourengehen und Freeriden in Island ist, dass die meisten Isländer da noch nicht einmal selbst auf den Geschmack gekommen sind: Man ist allein am Berg. De facto immer. Dabei liegt hier, knapp unterhalb des 66. Breitengrades, mehr und länger Schnee als sonst wo in Europa: Island gilt schließlich zu drei Vierteln als Wildnis. Gefühlt sind das aber etwa 106 Prozent des Landes - und auch wenn die Isländer dem Gast im Winter dringend davon abraten, quer über ihre Insel zu fahren, bleibt die Ringstraße die Küste entlang das ganze Jahr über befahrbar: Das Auto am Straßenrand abstellen, Ski oder Schneeschuhe anlegen und rauf-rauf-rauf - das geht überall. Und also auch dort, wo es fein aussieht. Also eben überall: Anstiege über Flanken und Hänge, deren Gegenhang schon in Grönland liegt, haben etwas ganz Besonderes. Auch, weil hier Luft, Wind und Schnee anders schmecken. Und riechen: Salzig. Das ist zwar eigentlich logisch - aber weil man an sowas immer erst denkt, wenn die Lippen beim ersten Trinkstopp ein bisserl salzverkrustet schmecken, ist es eben doch ein Überraschung.



Außerdem dachten wir beim Wind weniger an Salz als an Stärke: Wenn es hier bläst, dann aber mit Bums. Und wo Rücken und Hänge kilometerbreit sind, ist Ausweichen in windgeschütze Ecken oft ein bisserl schwer. Doch die Abfahrten machen das wett. Und zwar bei jedem Wind. 40 Grad und mehr. 1200 Höhenmeter - und zwar durchgehend. Über Hänge, die so weit sind wie ganze Skigebiete in Europa. Bei jedem Schwung glitzert und funkelt das Meer in anderen Tönen herauf - und der stiebende Schnee schmeckt jetzt eindeutig nach Meer. So, als hinge man auf einer Segelyacht im Geschirr weit über die Bordwand hinaus. Bei einem Regatta-Ritt knapp die Schaumkronen. Aber: Würde man dann auch den Regenbogen sehen, der plötzlich - die Sonne steht günstig und der Wind peitscht Schneekristalle fast waagrecht über den Hang - aus der Flanke zu wachsen scheint und sich über den Nordatlantik spannt? Fiele einem da das kleine Fischerboot auf, das da genau mittendurch tuckert? Und hätte man da die Zeit, sich jetzt auch noch einen Wal zu wünschen, dessen Fluke im Gegenlicht herauf winkt? Kitschalarm? Ja sicher. Aber: Na und? Kein Wunder, dass die Isländer an Feen, Elfen und Trolle glauben: Auch wer all die Fabelwesen nicht sehen kann, sagt unser Guide, weiß in Island, dass es sie gibt. Weil man sie spürt.

Nach der Tour:
Klar, auch anderswo sitzt man nach der Tour zusammen, trinkt Bier und hört den Geschichten der Locals zu. Bloß: Da besteht dann selten Gefahr, vor Lachen fast zu ertrinken, wenn der Guide erzählt, wie und warum Bier in seinem Land bis in die 80er Jahre verboten war. In Island aber ist Ertrinken auf der Insel eine echte Option. Weil man im Pool zusammen sitzt: Die berühmten heißen Quellen gibt es schließlich nicht nur an den Spots um Reykjavik, sondern überall. Jedes Dorf hat sein Schwimmbad. Aus einem schlichten Grund: Dörfer werden in Island dort gebaut, wo genug warmes Wasser aus dem Boden kommt. Und ein Dorf ohne Schwimmbad ist in Island kein echtes Dorf. Dort kann man dann zwar auch richtig schwimmen üben, doch sobald der Isländer schwimmen kann, bleibt er einfach im Wasser sitzen. Denn das ist warm. Wärmer. Oder zu warm: Neben dem großen Swimmingpool hat jedes Bad in Island Hot-Tubbs und Whirlpools. Mindestens drei. Mit unterschiedlich heißem Wasser: Festlandeuropäer geben im wirklich heißen nach wenigen Minuten auf. Die Isländer finden das dann lustig.
 



Fast genauso lustig finden sie Festlandeuropäer, die noch nie auf Pferden gesessen sind - und sich nach einem Touren-Tag einbilden, jetzt noch ein bisserl Ponyreiten gehen zu müssen. Schließlich ist Island ja berühmt dafür. Die Hottehüs sind zwar gutmütig und einiges gewohnt, haben aber doch ihren Stolz. Und vermutlich würden Hindernisreiter und Polospieler in ihren jeweiligen Dressen am Berg ein ähnlich groteskes Bild abgeben wie ein Schüppel Nicht-Reiter, das in Freeride-Gewändern verzweifelt versucht, nicht vom Pferd zu fallen.

Aber wir sind ja zum Skifahren hier. Das können wir. Das gibt auch unser Guide neidlos zu. Aber dass auch seine Landsleute eine Ahnung vom Skifahren haben, will er uns dann doch noch zeigen - und nimmt uns mit nach Siglufjörður.

Siglufjörður war einmal Islands drittgrößte Stadt, hatte also etwa 10.000 Einwohner, und galt bis zum Beginn der 1960er Jahre als die Heringsfischerei-Hauptstadt der Welt: Über 100 Jahre wurde hier die Kunst, den Heringen nachzuspüren, so verfeinert, dass immer größere Mengen Fisch aus dem Meer gezogen wurden. So lange, bis die großen Fischschwärme eines Tages verschwunden waren. Komplett. Und von einem Tag auf den anderen: „Überfischung“ ist hier mehr als ein Wort - es war der Untergang einer Stadt. Siglufjörður steht deshalb als Metapher. Als Metapher dafür, wie Gier und respektloser Umgang mit Ressourcen alle in den Untergang führen.

Abgesehen davon ist Siglufjörður, heute: 2000 Einwohner, das Chamonix, Lech und Sölden Islands: Hier trainiert das isländische Ski-Team. Und die isländische Ski-Jugend: Drei Lifte gibt es hier. Schlepplifte. Genauer: Ein Teller- und zwei Bügellifte. Die Kids trainieren mit Protektoren und auf der Slalomstrecke mit Feuerreifer, während die Eltern stolz ihre Skiteam-Jacken zeigen: Isländer lachen gerne - und wenn sie merken, dass ihr Gegenüber sie respektiert, auch über sich selbst. Noch lieber - so wie alle Menschen - aber über andere. Aber immer so, dass die auch mitlachen können.

Darum wussten wir, dass die Geschichte mit dem Gammelhai ein Nachspiel haben würde. Wir wussten auch, wo: Im wirklich heißen Whirlpool vor unserem Haus aus dem Nordskandinavien-Bilderbuch mit dem Blick auf den Fjord und das Meer und die Berge mit den ewig langen weißen Flanken.Nach dem Abendessen saßen wir da drin, schauten den Sternen beim Blinken und Glitzern in der arschkalten Nachtluft zu, bildeten uns ein, Trolle und Feen vorbeihuschen zu spüren, vereinzelt sah man auch Nordlichter vorbei huschen- und hörten unseren Guide vor Lachen glucksen: Es gäbe da noch ein Detail zum Gammelhai, sagte er dann. Früher, vor hundert Jahren, sei solche Nahrung zwar überlebenswichtig gewesen, aber heute nur noch Folklore. Kaum ein Isländer würde den Gammelhai selbst essen. Dafür habe man schließlich Touristen. Und wieso die Isländer den vergammelten Fisch gern den Besuchern überließen, habe einen Grund: Den Nitrat-Geruch. Denn das Piss-Odeur komme nicht von ungefähr: „Oder habt ihr je einen Hai pinkeln gesehen?“

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Autor

Thomas Rottenberg

Thomas Rottenberg beschreibt sich als Buchautor, Moderator, Kolumnist & Journalist, Lauf- und Outdoorblogger, Reisender, Geschichtenerzähler.Daheim in Wien, zuhause überall. Schreibt u.a. für Standard und Falter und arbeitet als Moderator bei diversen Events.

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